Text von Monika Buekenhout
Die Monographie entstand anläßlich der traditionellen großen Sommerausstellung 1994 der Kunsthalle in Emden Sammlung Henry Nannen.
Fragmentewand entsteht in der ersten Hälfte des Jahres 1993 im Hamburger Atelier Katharina Duwes. Das Empfinden der Künstlerin, die einheitliche Wahrnehmung der äußeren Wirklichkeit zersplittere zunehmend, setzt sie in einem persönlichen Kaleidoskop um. Eine Ansammlung ihrer Lieblingsmotive stellt sie zur Schau. Ihre Auswahl ordnet sie intuitiv, aber auch nach ästhetischen Vorstellungen. Dreißig Karten ergeben ein Riesenmemory. Gleichwohl will Katharina Duwe keine Geschichte erzählen durch die Reihung der Motive, sondern ihrer Sichtweise des Lebens eine angemessene Form geben.
Die dreißig Bilder, 50 x 60 cm klein und nicht auf einer Ebene plaziert, vielmehr raumgreifend vor und zurückspringend, strukturieren ihr bisher größtes Bild. Es mißt 250 x 360 cm.
Der kompakte Bildblock behauptet sich mit Leichtigkeit. Gebrochenes Weiß, leuchtendes Kobalt und warme Gelbschattierungen geben einer strahlenden Farbigkeit Weichheit, obwohl schwere Erdfarben dominieren. Die Bildformation erweist sich als statisches Gegenüber, das dem Betrachter nur einen möglichen Blickwinkel zuweist. Ebenmäßig und gleichberechtigt präsentiert die Bildeinheit ihre Teile. In der Überschaubarkeit der einzelnen Fragmente schützt sich der Betrachter vor der Komplexität der gesamten Wand. Er erfaßt das erste Bildfeld. Auf einer Seite eine Figur in der Nische, eine Figur, die im verhüllenden Schatten steht, oder ruht die Gestalt im Dunkel eines Sarkophages? Auf der anderen Seite ein schwebendes Gebilde mit einem zu großen Heiligenschein, eine Energiequelle, die Schwingen entfaltet. Ist sie Grabwächter, Lockvogel oder Greif, bereit die Figur im Versteck zu attackieren? Ein Bedürfnis im Schatten zu stehen widersetzt sich der Aufforderung nach außen zu treten. Verharren und Bewegung sind miteinander konfrontiert.
Das Bildgefüge provoziert eine Bildbetrachtung, die zwischen Innehalten und Fortschreiten wechselt. Die Wand der Fragmente gibt dabei selbst Ton und Rhythmus an. Ein Bilderkanon entsteht. Wie gleichförmig weites Glockenläuten mit jedem neuen Pendelschlag den nächsten Klang anstimmt, so treten die einzelnen Bilder ins Blickfeld. In sich ist das Einzelbild bereits eine Sequenz, es inspiriert und taucht ab. Es wird vom sich anschliessenden abgelöst, an das sich wiederum ein nächstes reiht. Es existiert weiter in den Vorstellungen, die es auslöst, Vorstellungen die insofern poetisch sind, als sie Gebilde beschwören, die nicht existieren. Ein wuchtiges Treppen-Mauer-Eck, dem jede Dimension fehlt, ein hochbeiniges Kirchen-Arkaden-Haus aus dem Spielzeugkasten zwei skurrile Spitzdach-Trulli von keiner Brücke verbunden, ein seltsamer Wiege-Bogen, ein uneinnehmbares Gewölbe-Gehäuse. Solch phantastische Formen sind die Versatzstücke der Bilder. Sie gleichen einer Traumwelt oder einer visionären Architekturlandschaft. Das Fundament dieser Architekturlandschaft liegt in der Geschichte Südfrankreichs.
Katharina Duwe ist inspiriert von einer scheinbar unberührten Landschaft, von der Provence In dem Ort Uzès verbringt sie wiederholt mehrere Monate des Jahres. Zeichnerisch fixiert sie ihre Umgebung. Besonders an den Überresten der Baukunst römischer Vergangenheit, an Klöstern aus den ersten Jahrhunderten abendländischer Zeitrechnung, an romanischen Architekturzeugnissen einer fast versunkenen Zeit entzündet sich das Interesse der Künstlerin. Für Katharina Duwe sind diese von Menschenhand geschaffenen Zeichen "das letzte, mit dem die Vergangenheit winken kann". Ihnen vertraut sie, denn ihre äußere Erscheinungsform erfährt sie als Spiegelung der eigenen inneren Wirklichkeit, letztlich also als Konfrontation mit sich selbst. Felsengräber, Brückenbogen, Steinhöhlen, Arkadengänge, Turm, Tor, Stufen, Mauerwerk integriert sie in ihre Bilder. Die Künstlerin verformt sie zu rätselhaften Objekten, die fortan als existentielle Chiffren in einer inneren Landschaft ihr Eigenleben führen.
Diese Persönlichkeit der Form zeigt sich auch in der blockhaft gegebenen menschlichen Figur, die zwischen Negativ und Positiv oszilliert, sowohl Skulptur als auch Schatten, Abdruck oder schwarzes Loch ist. Auch sie verweist auf scheinbar längst überlebte alte Kultur.
Ging es Katharina Duwe in ihrer Landschaftsmalerei zunächst noch darum, dem ungeheuren Naturerlebnis, der Impression von Licht und Schatten gerecht zu werden, so entfernt sie sich mit ihren Stadtlandschaften, die wenig später entstehen, immer mehr vom gesehenen Vorbild. Sie verdichtet die Malerei auf die ihr wesentlichen Elemente. Form und Farbe gewinnen an Bedeutung. Die Form tritt aus der Fläche in den Raum. Sie baut Volumen auf, wird faßbar - unabhängig vom Gegenstand. Die Farbe zeichnet diesen Weg nach. Sie wird pastos, mit Baustoffen wie Sand und Gips gemischt gewinnt sie an Materialität, bildet Reliefzonen. Der 'Weg nach Innen' hat begonnen. Doch immer noch bleibt die äußere Wirklichkeit ablesbar. Erst das Finden der architektonischen Überreste vergangener Epochen treibt den Formfindungsprozeß stärker voran. Die Künstlerin läßt den Gegenstand als Objekt verschwinden, um ihn als Form zu rechtfertigen. Die Form verselbständigt sich. Sie hat nun lediglich den Charakter von Architekturmodellen. Die Fundstücke eignen sich als Bedeutungsträger. Das Eigenartige rückt in den Mittelpunkt. Katharina Duwes 'Weg nach Innen' führt sie zum Raum. Die Malerei stößt an ihre Grenze.
"Was ist eigentlich das typisch Eigene von mir?" diese Schlüsselfrage begleitet Katharina Duwe als Frau und als Künstlerin. Im Kampf um Identität zieht sie ein vorläufiges künstlerisches Resümee. Fragmentewand ist zu verstehen als momentane Lagebeschreibung. Jede Bildeinheit scheint eine Metapher zu sein für einen Empfindungszustand, die Gesamtkomposition ist das Sammelbecken. Katharina Duwe möchte etwas "Innerliches, nicht Sichtbares sichtbar machen". Dennoch gewährt sie keinen Blick in Innenräume. Für sich selbst hat sie die Bezeichnung "Psychohistorikerin" gefunden.
Während ihres letzten Aufenthaltes in der Hauteprovence besucht sie die Ruinen des mittelalterlichen Klosters Abbaye de St-Roman. Dort erlebt sie "den seltenen Moment einer Begegnung mit etwas, das fast deckungsgleich ist mit dem, was man in sich sieht". Die Künstlerin erklärt: "Das war, als wenn mir meine Bilder dort begegnet wären."
Herausgeberin
Monika Buekenhout
Text
Monika Buekenhout
Gestaltung
Katharina Duwe, Monika Buekenhout
Photographie
Bernd Stegelmann
Typographisches Konzept, Realisation
kleine typografie
Webumsetzung
Thorsten Reinicke Büro