Katharina Duwe

Katharina Duwe „Off Space“

Imke Ehlers, Fehmarn, 2022

Text zur Ausstellung im E.L.Kirchner Verein Fehmarn e.V.

Der Titel für die Ausstellung Katharina Duwes lautet Off Space und ist der Filmtheorie entlehnt. Beim filmischen Off handelt es sich um einen Raum, der sich außerhalb des „Rahmens“ befindet, außerhalb des auf der Leinwand sichtbar werdenden Handlungsraumes. Der Filmtheoretiker Noel Burch hat die vier Seiten des Leinwandrahmens im Kino als off-screen-space definiert: oben und unten, links und rechts. Die Arbeiten von Katharina Duwe eröffnen die Dimension eines „Space“ und reichen in ihrer expressiven Art weit über den Handlungsraum, die Begrenzung der Leinwand, hinaus.

Die Malerin, die der norddeutschen Künstlerfamilie Duwe entstammt, die sich schon in zwei Generationen der Malerei widmet, lebt Malerei und besitzt ein intensives Einfühlungsvermögen für Farben, die sie in ihren Werken faszinierend einsetzt. Ihr bevorzugtes Sujet ist der urbane Raum und die darin verbleibende Natur. Sie bildet keine realen Stadträume ab, sondern sucht nach einem architektonischen Detail, etwas Markantem, welches dann verdichtet und herausgearbeitet wird. Duwe ist an einer ornamentalen Struktur interessiert, an der Farbmentalität, Verdichtung und Auflösung der Systeme.

Zu entdecken sind somit keine üblichen Stadtporträts, sondern manifeste Gleichnisse von der gesellschaftlich-zivilisatorischen Wirklichkeit, begriffen und dargestellt mit einer ambivalenten Faszination: mit emphatischer Hoffnung, aber auch mit Skepsis, Angst, Ironie und Sarkasmus. Farbe verarbeitet Duwe zu Raumgefügen und interpretiert Stadt auch zivilisationskritisch in dem ihre Stadtlandschaft oft mit einem Zeichen aus der Natur gebrochen wird. Es entsteht kein Zusammenspiel zwischen den Systemen Urbanität und Natur. Die Natur erscheint fremd, wie ein Eindringling, während die Malerin die Essenz des urbanen Raumes gestaltet.

Katharina Duwe ist eine Flaneurin, eine passionierte Beobachterin, das Architekturmotiv dient ihr auch zur Formenfindung, wichtiger ist der Malerin aber der dynamische Moment des subjektiven Erlebens. Mit einer Art „Sampling“-Verfahren greift Duwe Bruchstücke unserer Architektur-Gegenwart auf und integriert sie in ihre Erlebnisräume. Für Duwe ist die Architektur ein Medium, durch das sie ihre Ansichten über die Kunst und die Welt ausdrückt. „Off space“ geht es in den Arbeiten der Künstlerin immer auch um den Wunsch zu dem „Ur-Wesentlichen“ und „Un-Nennbaren“ zu gelangen, das hinter der sichtbaren Form verborgen liegt.

Im romantischen Sinne sind Duwes Gemälde Sehnsuchtsbilder, in denen sich der Betrachter verlieren kann. Ihre Naturdarstellungen sind oft voller Geheimnis, so exotisch wie melancholisch, attraktiv wie unheilvoll. Beiden Motivreihen ist gemeinsam, dass der Mensch fast immer abwesend ist. Leere und das Unheim­li­che verber­gen sich in den Natur-Gemäl­den in den hängenden Ästen und den verstreu­ten Blumenteppichen, zwischen den leuch­ten­den Farben. Die Farben sind so inten­siv und beziehen ihre Inten­si­tät auch aus dem nervösen Hell-Dunkel. Duwe kombiniert virtuosen Öl, Eitempera, Aquarell und Acryl in ihren Bildern. Sie legt Farbschichten pastos und lasierend übereinander, verwischt, leicht platziert sie ihren Duktus.

In der Arbeit „Die Überfahrt“ aus dem Jahr 2021 weicht Duwe von ihren „leeren“ Stadtlandschaften ab und fügt ein symbolträchtiges bemanntes Kanu in die Szenerie der abstrakten Stadtlandschaft. Gefasst wird die Arbeit an den Bildrändern oben und unten von Vegetationselementen. „Die Überfahrt“ findet am Abend statt, denn auf dem ruhigen See spiegeln sich vereinzelt Großstadtlichter. Der Kultur­kri­ti­ker Mark Fisher hat in seinem letz­ten Buch von 2017 – „Das Selt­same und das Gespens­ti­sche“ – eine Theo­rie entwor­fen, die eben jenes Gefühl der Leere, jene selt­same Gleich­zei­tig­keit von An- und Abwe­sen­dem auf den Punkt bringt. Das Gespens­ti­sche, schreibt Fisher, stellt eine Loslö­sung vom Gewohn­ten dar, es ist eigent­lich auch eine ganz behag­li­che Ruhe, ihr fehlt jedes Schock­mo­ment. Auch Katharina Duwes Kanu umgibt dieses Gespenstisches, welches sie mit einem Spektrum von violett Farbtönen unterstreicht. Die Arbeit kann auch als ein religiöses Gemälde gelesen werde. Schiffe stehen in der christlichen Ikonografie für den Lebensweg des Menschen und die Überfahrt in die Ewigkeit nach dem Tod. Zu Beginn des Lebens verlässt der Mensch den sicheren Hafen, um die manchmal stürmischen Meere (Leben) in der Geborgenheit des Schiffes (Glauben) zu überqueren und am Ende wieder in den Hafen zurückzukehren (Ewigkeit). Vielleicht aber überquert auch nur ein Kanufahrer einen See. Das Narrativ der An- und Abwesenheit formuliert Duwe in dieser Arbeit mit Perfektion.

Die neuen Arbeiten von Katharina Duwe aus den Jahren 2020 und 2021 sind dramatischer in ihren Erzählungen, der Betrachter muss sich entscheiden, erobert der urbane Raum auch das letzte Grün oder aber schlägt die Vegetation mit Macht zurück und lässt sich als Lebenslunge des Menschen nicht verdrängen. Im Werk „Vormarsch der Häuser“ 2021 gibt der Titel zwar vor, dass die Stadt triumphiert, doch in seiner leuchtenden Farbigkeit erzählt die Arbeit „der vereinzelten Stämme“ auch von Hoffnung, in jedem Fall zeigt sie dem Betrachter, dass unsere Umwelt aus dem Gleichgewicht kommt. In der Serie „Unterholz I-III“ 2021 greift die Vegetation, Bäume, die als horizontale und vertikalen Linien komponiert sind, die Architektur an, sie steht im Bildvordergrund und die Architektur erscheint verdichtet im Hintergrund. Im Werk „Unterholz III“ wabert die Natur, ein schlieriges, stilisiertes Muster, der Architektur entgegen und verwebt alle Schichten zu einem "all over"-Farbteppich.

Katharina Duwe ist keinem realistischen Abbildungsverfahren verpflichtet - vielmehr zeigen ihre Malereien Stadtraumkompositionen von Architekturfragmenten, die durch Vegetationscodes dekonstruiert werden. Die abstrakten gegeneinander gesetzten Farbflächen aus den die Architektursilhouetten entstehen, begeistern durch ihre Leichtigkeit und wirken auf den Betrachter dreidimensional. Duwe fügt die Codes aus der Natur auf ungewöhnliche Art und Weise in den Kontext der Urbanität ein, experimentiert in ihren neuesten Arbeiten mit stark stilisierten Codes und verbindet damit die Bereiche, die oft Gegensatzpaare sind. Schließlich dient die Natur als Leinwand, um die Schnittstellen von Kunst, Raum und Umwelt zu erforschen und damit Fragen nach unserem Verhältnis zur Landschaft selbst aufzuwerfen. Duwe hat die Zwischenräume zwischen Natur und Architektur entdeckt. In der Abwesenheit des Menschen, in der Leere zwischen den Zeichen, in der Auslassung entsteht die kreative Energie ihres Kunstwerks für ihre Rezipienten, der sich preisgibt, indem er zur subjektiven Reaktion auf Farben und Linien, gereizt wird. Im Kunstwerk sind die Leerräume schillernde Spielräume der Entdeckerlust und keine klaffenden Lücken, die Verlust spürbar macht. Duwe zelebriert intensiv das Mehr durch das Weniger.

Eine Stadt ohne Menschen berührt auf ganz eigene Weise. Die Leere zwischen den Häusern evoziert gleichermaßen feierliche wie ängstliche Gefühle. Man denke nur an einen frühen Morgen am Feiertag, wenn angesichts der leeren Strassen und Plätze der Eindruck einer großen Freiheit entsteht. Falls diese Leere aber unvermittelt hereinbricht, dann keimt ein mulmiges Gefühl und wächst sich rasch zu Angst aus.

Die leere Stadt ist aber eben nicht leer, denn dann wäre sie tot und eine Geisterstadt. Bei Katharina Duwe ist sie nur in ihren geographischen Verbindungssträngen unterbrochen. Ein Anschein entsteht, als wäre der Organismus der Stadt ohnmächtig geworden, während das Leben – wie das Blut bei einem Schockzustand – in tiefere Schichten des kommunalen Körpers zurückgewichen ist.

Die Kraft der Gemälde liegt neben ihrer ästhetischen Farbigkeit in dem „Off Space“, dem Raum, der über den Rahmen der Leinweg hinweg eröffnet wird. Gefangen nimmt den Betrachter das Gefühl, dass er den Stadtraum kennen könnte, man versucht eine Perspektive auszumachen und begreift mit weiterer Auseinandersetzung, dass man in einem fiktiven urbanen Raum ist. Darüber hinaus erscheinen ihre Architektur-Motive, in verschiedenen Werken in unterschiedlichen Farben und Formen, und diese Motive zu notieren und Verbindungen zwischen ihren Werken zu finden, erweitert unseren Vorstellungshorizont über die Grenzen eines einzelnen Gemäldes hinaus.

In der Arbeit „Rankengewächs“ 2021 zeigt die Künstlerin auf brillante Art und Weise, wie sie eine Architektur-Szenerie verdichten kann und dann schwirrende Farbteppiche als irritierendes Moment durch die Komposition ziehen lässt. Die Farbteppiche erinnern an Vegetation und die Malerin spielt mit den Wahrnehmungsebenen der Wirklichkeit.

Katharina Duwe begeistert sich für die Nacht und ihre Reflektionen. Ihre Serie „Lightreflections“ setzt sie seit einiger Zeit regelmässig fort. Die kleinformatigen, abstrakten Bilder spielen um die Gestaltung von Farbe und Licht. Die Künstlerin überführt ihre nächtlichen Wahrnehmungen nicht in eine abstrakte Gestalt, sondern arbeitet „tachistisch“. In der Serie geht es um den spontanen Malakt, darum die kreative Kraft intuitiv auf die Leinwand zu bringen. Die Gemälde sind von großer Leichtigkeit und zeigen eine gestische Setzung hingeworfener Pinselstriche und stehen für den ungesteuerten bildnerischen Ausdruck des Unbewussten. 

In der St. Nikolai Kirche begegnen wir den großformatigen Naturlandschaften Katharina Duwes. Sie führen uns hinaus aus der Zivilisation, auf den Fluss, an den Teich, in den Schnee, ins Ursprüngliche. Dominant ist für die Malerin das Spiel mit der Farbe, die sich bisweilen vom Motiv befreit. Ihre Kompositionen bestechen durch flächige Formen, eine ebenso intensive wie nuancierte Farbigkeit und die Präsenz des malerischen Duktus.

„Laterne am Flussufer“ 2016, zeigt gegenständlich tatsächlich die Laterne aus dem Titel am unteren Bildrand. Sie beleuchtet dem Betrachter den Zugang in diese winterliche Flusslandschaft, die sich aus vor allem grünen, roten und weissen Farbflächen zusammensetzt. Die Malerin eröffnet damit einen magischen Bildraum. Man ist angezogen von der wilden Ursprünglichkeit der abstrakten Komposition und gleichzeitig zitiert die Laterne die Zivilisation, der man eigentlich entfliehen wollte. Die Arbeit demonstriert eindringlich die Möglichkeiten der Landschaftsmalerei, die imstande ist, auf der Ebene des Geheimnisses der Beziehung zwischen Mensch und Natur unterschiedliche Bildzitate aufzunehmen und einheitlich zu verquicken. Duwe spürt das Verdeckte und Verunsichernde der Landschaften auf, immer wieder thematisiert sie dabei auch die Begegnungen des Menschen mit der Natur und die Einsamkeit des Individuums.

Die Naturlandschaft, in welche der Mensch der Romantik sich noch nach der Verschmelzung mit ihr sehnte, wird in der Arbeit „Teich II“ 2016 für den Betrachter noch einmal erlebbar. Die Malerin verzichtet auf das Einsetzen von Zeichen und Codes der Verunsicherung, sie widmet sich ausschliesslich der Naturdarstellung, und zeigt uns den Blick in einen Teich, in dem sich die ihn umrahmende Vegetation spiegelt. Die Szene erscheint traumhaft, unwirklich schön und evoziert eine elegisch melancholische Stimmung. Fast religiös triumphiert der Teichausschnitt über jegliche Befreiungsversuche der künstlerischen Kreatur.

Auch in der Arbeit „Garten im Dämmerlicht“ 2015 lässt die Malerin über das Sujet Sehnsucht aufkeimen. Der Vordergrund wird dominiert von vertikalem Geäst, welches ob der perspektivischen Größe irritiert aber wenn man sich dann in das Gemälde hineinziehen lässt, tanzen die Farben der „Blauen Stunde“ explosiv.

Natur, Mensch, Kultur und Stadt sind Teil eines komplex vernetzten Systems ineinander greifender Wirkungen. Die Stadt mit ihren sich überlagernden und überlappenden Diskurswelten generiert ein permanent anwachsendes Gebilde von Relationen, das polyzentral wächst und sich dynamisch verändert. Katharina Duwe seziert mit ihrem Blick und ist in ihren neuen Arbeiten radikaler geworden. Ihre Auseinandersetzung zeigt mit welch hoher Sensibilität sie sich der sukzessive verändernden Wahrnehmung von Stadt in ihrer künstlerischen Arbeit stellt. Urbane Welten fungieren für sie als inhaltsreiche Nährbecken, die sie aber ohne ihre Reflektionen zur Natur und dem Abgleich ihres künstlerischen Selbstverständnisses nicht ausschöpfen könnte. Mit ihrem Werk hinterfragt sie und zeigt viel mehr als fluide urbane Strukturen: Begrenzungen lösen sich auf, die gezeigten Arbeiten wachsen alle über den Bildraum hinaus und erreichen dadurch eine Sogwirkung. Die Farben Katharina Duwes sind Transmitter zwischen dem Auge des Publikums und einer Wirklichkeit hinter dem Anschein der Wirklichkeit, die sich mit Vergangenheit und einer undefinierbaren, archaischen Sehnsucht nach Auflösung verbindet. Wer sich Zeit vor den Originalen nimmt, ihnen gewissermassen «zuhört», wird eine reiche, bisweilen kaleidoskopartig schillernde Bildwirklichkeit aufspüren, die Vorstellungs- und Erinnerungsräume öffnet und miteinander verschränkt.


Imke Ehlers